„Wir werden nicht aufhören, bis dieses Regime weg ist.“

Am 9. Dezember 2022 sprach Shabnam Arzt auf der Solidaritätskundgebung für die Menschen im Iran.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kurzbach – lieber Tim,

sehr geehrte Frau Stadtdirektorin Becker – liebe Dagmar,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freundinnen und Freunde,

stellen Sie sich vor, Sie sind 7 Jahre alt. Sie sind mit Ihrem Fahrrad unterwegs. Zu Ihrer besten Freundin. Sie wohnt nur eine Straße weiter. Plötzlich bemerken Sie den Kleinbus der Pasdaran – der sogenannten Revolutionsgarde. Ein Schauer der Angst durchflutet Sie. Denn Sie merken, Sie tragen keinen Schleier. Vorsichtig steigen Sie von ihrem Rad ab. Sie täuschen eine Panne vor und schieben die Kette hin und her. Sie hoffen und beten, dass Sie nicht entdeckt werden.

Dieses 7jährige Mädchen war ich. Vor 41 Jahren. In Teheran. Iran. Sie haben mich nicht bemerkt. Ich bin davongekommen. Aber das Erlebnis und die damit verbundene Angst sind für mich heute so präsent wie damals.

  • Angst, dass die Männer der Revolutionsgarde mich entdecken und mitnehmen,
  • Angst, dass ich meine Eltern nie wieder sehen werde,
  • Angst, dass sie mich foltern und ich meine Familie verraten muss.

Seit 43 Jahren leben die Menschen im Iran mit Angst. 43 Jahre! Können Sie sich vorstellen, ständig in Angst zu leben?

  • Angst, etwas Falsches zu sagen,
  • Angst, nicht regimekonform angezogen zu sein,
  • Angst, dass Ihre Liebsten abends nicht heimkehren werden.

Diese Angst kenne ich nur zu gut. Wie oft habe ich am Fenster gestanden und auf meinen Vater gewartet, als er sich verspätet hat. Jedes Mal, wenn ein Auto in unsere Straße einbog, hoffte ich, dass er es ist. Dass er nicht wieder verhaftet wurde und dass er heimkehrt.

Mahsa Amini kehrte nicht heim. Die 22jährige, die angeblich ihr Kopftuch nicht richtig trug, wurde von der Sittenpolizei verhaftet, misshandelt und erlag wenig später ihren Verletzungen. Ein junges Leben einfach so ausgelöscht.

Ich glaube, man muss nicht selbst Mutter oder Vater sein, um den unendlichen Schmerz ihrer Eltern nachzuempfinden.

Mahsa Amini wird nicht heimkehren. Genauso wie sie kehrten unzählige Menschen nicht zu ihren Liebsten zurück. Hier geht es aber nicht nur um Zahlen, die die Brutalität dieses menschenverachtenden brutalen Mullah-Regimes unterstreichen.

Es geht um Großmütter, Großväter, Mütter, Väter, Töchter und Söhne. Sie alle haben einen Namen. Einige von ihnen sind auf den Lichtern genannt. Täglich kommen neue Namen hinzu: Mohsen Shekari, 23, wurde gestern hingerichtet. „Krieg gegen Gott“ hieß die Anklage.

Unschuldige Menschen wurden und werden verhaftet, misshandelt und zu Tode verurteilt. Warum?

Weil

  • sie sich erlaubt haben, eine eigene Meinung zu haben,
  • sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollten,
  • sie ein paar Haare, ihre Knie oder Knöchel zeigten,
  • sie die „falsche“ Person geliebt haben.

Die Iranerinnen sagen, es ist genug! Der Weg der Verhafteten und Ermordeten wird von anderen mutigen Menschen fortgesetzt. Die Iranerinnen, die Tag für Tag auf die Straße gehen, die für ihre Rechte kämpfen und dabei ihr Leben riskieren, sie sagen: „Wir werden nicht aufhören, bis dieses Regime weg ist!“.

Wir werden nicht aufhören, bis dieses Regime weg ist.

Welch ein Mut! Wie großartig sind diese Frauen!

Diese mutigen Menschen verdienen Demokratie genau wie wir sie hier selbstverständlich genießen. Sie verdienen unsere Unterstützung. Sie brauchen unsere Stimme! Unsere Rückendeckung. Wenn jetzt nichts geschieht, wird es zu Massenhinrichtungen kommen. Deswegen sind wir heute hier. Um ein Zeichen zu setzen.

Danke Ihnen dafür!

  • Danke, dass Sie heute ein Licht der Hoffnung sind und den Menschen im Iran zeigen: wir sehen euch, wir stehen hinter euch.
  • Erheben Sie bitte weiter Ihre Stimme. Seien Sie die Stimme derer, die nicht gehört werden.
  • Bitte hören Sie nicht auf, bis dieses mörderische Regime weg ist.
  • DANKE, dass Sie heute hier sind!
  • Danke, dass Sie die Iraner:innen unterstützen! Damit die Angst der Frauen, der Männer, der Kinder ein Ende hat.

Damit nicht noch weitere Unschuldige hingerichtet werden.

Ich träume davon eines Tages mit meinen Cousinen in Teheran das persische Neujahresfest in Freiheit zu feiern. Möge dieser Tag bald kommen.

ZAN ZENDEGI AZADI

FRAU LEBEN FREIHEIT

Ich lade Sie nun zu einer Schweigeminute ein. Gemeinsam wollen wir in Stille der Menschen gedenken, die getötet wurden.

Danke!

Ali Samadi Ahadi, der als weiterer Redner eingeplant war, musste leider krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Wir haben stattdessen einen Text der Journalistin Gilda Sahebi vorgelesen: „Was im Iran geschieht, ist feministische Weltgeschichte“